Am 13. Mai erscheint das neue Album von Angela Aux. Grund genug, dass wir uns da mal genauer über Texte, Kunstfiguren, Schrebergartenmentalität und Tod unterhalten. Und das in einem Auto. Bei Regen. Es war fast so melancholisch wie die 10 Songs auf der zu den Ursprüngen der Folk-Musik zurückkehrenden Platte. „Wrap your troubles in dreams“!
Das Interview führte Daphne Weber.
Spreche ich nun eigentlich mit Angela Aux, Heiner Hendrix oder Florian Kreier?
Kommt auf die Frage an. Es ist jetzt nicht so, dass die Rollen groß ausformuliert wären. Ich verhalte mich nicht wie Angela Aux oder Heiner Hendrix. Ich bin so wie ich bin und das ist komisch genug eigentlich. Florian Kreier ist wahrscheinlich der Mensch, mit dem spricht man immer. Heiner Hendrix ist, glaube ich, der, der auf diese ganze totale Verwirrtheit und dieses vollkommen Unkonkrete und die gesellschaftlichen Abgründe abfährt. Angela Aux ist der sensibelste und nachdenklichste Part. Durch die Musik, da die sensibel und nachdenklich ist. Es sind wohl einzelne Persönlichkeitsanteile, die ich habe, keine richtigen Rollen.
Warum tritt Angela Aux in Frauenklamotten und Perücke auf?
Seit ich den Namen habe, steht es im Raum.
Wie kam der Name?
Eine Aneinanderreihung von Zufällen und Missverständnissen. Aber eigentlich banal. Da gibt es einen Straßennamen in München – aber ich kann die Geschichte echt nicht mehr hören – Anita-Augsburg-Allee. Eine Frauenrechtlerin. Und den Namen der Band, die ich damals hatte, fand ich scheiße, also schlug ich vor, uns in Anita-Augsburg-Allee umzubenennen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber nicht mehr genau, wie die Straße hieß und dachte, sie hieße Angela-Augsburg-Allee. Das habe ich dann vorgeschlagen. Die anderen haben mich für verrückt erklärt und gemeint, ich könne mich selbst Angela-Augsburg-Allee nennen und ein paar verkiffte Abende später war ich Angela Aux. Die Band ist dann aber kurz drauf gestorben und ich habe mein erstes Homerecording allein gemacht, hatte erst keinen Namen und da war er dann: Angela Aux. Auf weiter Flur war ich dann erstmal der einzige Mann im ganzen Indiebereich mit Frauennamen.
Außerdem fällt es mir superschwer auf der Bühne zu stehen. Entweder ich nehme dazu eine ultra ironische Haltung ein und kommentiere mich selbst oder ich fühle mich eben krass unwohl. Die Kunstfigur hilft mir, mich auf der Bühne zurechtzufinden. Ich wirke auch normalerweise sehr männlich, bin es aber nicht. Durch Angela Aux kann ich das umschalten.
Wenn eine Frau Männerklamotten anzieht, ist das auch gesellschaftlich mehr akzeptiert, als wenn ein Mann Frauenklamotten trägt. Ich finde das Feminine viel spannender. In der Bühneninszenierung geht es allerdings unter. Vor der ersten Tour hatte ich Angst, dass es zu viel Raum einnimmt, aber das tut es nicht.
Gehört die Bühnenshow zum Gesamtkunstwerk dazu oder ist die nur Mittel zum Zweck?
Also die Tatsache, dass ich Frauenklamotten trage, geht unter. Vor allem weil die Texte aus einer sehr männlich-kaputten Perspektive erzählen.
Zu den Texten. Ich habe da eine Strukturanalyse gemacht: Welche Begriffe sind redundant, worum kreisen die Texte. Sky, sea, ocean, from above, bird oft konnotiert mit unsichtbar werden, wegschlüpfen oder zum Schatten werden. Dazu heißt das Album „Wrap your Troubles in Dreams“. Ist das Eskapismus? Melancholie? Realitätsflucht?
Das ist das Ja-Sagen im Nein-Sagen. Natürlich kann man als aufgeklärter, wachsamer und herzlicher Mensch in der Welt, in der wir leben, die Realität nicht akzeptieren, sonst müsste man sich töten. Ich würde behaupten, dass jeder Mensch eine Form von Eskapismus hat. Was in dem Titel steht, ist im Grunde die Aufforderung, die Welt auf den Kopf zu stellen. Aus Unzulänglichkeiten, die man hat, sich einen Vorteil machen. Bei mir zum Beispiel ist das so: Ich schlafe manchmal wochenlang nicht gut. Das kann einen kaputt machen, aber ich versuche, die Zeit zu nutzen und Texte und Musik zu produzieren. Das sind dann auch Zeiten, in denen es mir mies geht und meine verschiedenen – wie sagt man? Unterbewussten? – Stimmen miteinander im Widerspruch stehen. Wenn ich nicht einen Weg gefunden hätte, damit umzugehen, – Texte, Musik – wäre ich wahrscheinlich ein Fall für die Klapse. Oder auch nicht. Aber ich wäre ein unglücklicher Mensch. Da raus zu kommen, das ist der Plan.
Nichtsdestotrotz sind Texte wie auch Musik melancholisch.
Ja, voll. Aber es sind immer wieder so kleine Witze versteckt. Zum Beispiel im ersten Text [„Fucked up Blues“, A.d.R.]. Da ist ein Erzähler, der sagt, dass Realität ein Konstrukt ist und wir könnten sehr wohl mit Vögeln sprechen, wenn wir uns Mühe geben und danach spricht er über Autos. Das sind kleine Augenzwinkereien. Ich möchte überhaupt nicht in dieser Schwere herumtrampeln. Ich möchte den Leuten eigentlich Mut zusprechen.
Bei dem Track „No Encore“ gibt es die Verse: „Is it true we all die / if it’s true, it’s all right.“ Das klingt, als müsstest du dich selbst ein bisschen beruhigen. Jetzt weiß ich nicht welcher Kunstfigur ich folgende Frage stelle. Hast du Angst vor dem Tod? Oder können Kunstfiguren Angst vor dem Tod haben?
[überlegt lange] Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich eine gebrochene Hand. Das war ein dummer Bruch, der nur eine fünfzigprozentige Chance hat zu heilen. Also habe ich ihn operieren lassen. Dann saß ich zu Hause, habe Schmerzmittel genommen. Ich sollte auf keinen Fall Gitarre spielen, dann habe ich die Schiene abgenommen und habe Gitarre gespielt. Aus dieser Situation heraus ist das Lied entstanden. Die Themen Tod, Wiedergeburt, Kreislauf sind die maßgeblichen Themen überhaupt im gesellschaftlichen Denken. Vor dem Tod selbst habe ich keine Angst. Angst vor Verlust ja, aber vor dem Tod? Eher vor Krankheiten. Mal abgesehen davon, dass ich mich mit dem Gedanken anfreunden kann, dass das Leben danach nicht vorbei ist, denke ich, dass der Tod kein Stress ist. Wenn man sich gibt, was da alles im Hirn ausgeschüttet wird… also die letzte Minute deines Lebens könnte ekstatisch sein. Der totale Supertrip.
Wie fühlt es sich an, jetzt in den Kammerspielen Release zu haben und in Mexiko auf Tournee gewesen zu sein und rumzukommen?
Gut.
Könntest du das spezifizieren?
Ja, also das sind Ergebnisse von viel Arbeit, aber ich sehe das eher als… Geschenke. Allerdings ist es auch eine Bürde, man muss den Laden voll machen und es wird eine andere Qualität erwartet. Tourneen sind anstrengend, aber toll, weil ich am liebsten vor Leuten spiele, die ich nicht kenne. Dann steht das viel mehr für sich, sonst sehen die Bekannten das immer in Relation zu dem Menschen, den sie kennen. Aloa Input [ein anderes Bandprojekt A.d.R.] wird z.B. außerhalb von Deutschland viel ernster genommen. Wir werden hier nur als Münchner Band wahrgenommen und die Leute fragen, „und wie ist die Bandszene in München so?“ So ein Blödsinn. Das ist was Grunddeutsches, diese Schrebergartenmentalität, Rasen auf 1,8 cm. Geht mir extrem auf die Nerven. Bei Angela Aux ziehen wir uns über die Performance ein bisschen raus. Das Bestechende darin ist, dass wir sehr ruhig spielen und keine Action auf der Bühne herrscht. Das ist ein gewisser Minimalismus, den wir anstreben, der reinigend ist. Jeder konzentriert sich aufs Wesentliche.
Warum schreibst du auf Englisch?
Die Muttersprache meiner Musikbegeisterung ist Englisch. Die Popkultur ist englisch geprägt, ich glaube 80 Prozent der Musik, die ich in meinem Leben gehört habe, war auf Englisch. Ich schreibe auch deutsche Rap-Texte, aber nur so für mich. Es entstehen im Englischen natürlich Brüche, weil ich kein Muttersprachler bin, aber diese Brüche sind ja das Interessante. Perfektion interessiert mich eigentlich gar nicht. Deshalb komme ich auch mit Oper nicht klar. Außerdem limitiert uns Sprache, umfassend erleben zu können.
Unendlichkeit ist glaube ich genau so eine Idee wie ein Klang oder ein Geschmack. Die Sache, dass wir Existenzen über Begriffe auszeichnen, die greift so unfassbar zu kurz. Sprache ist eine Mauer, die man umschiffen muss. Unendlichkeit klingt. Auch Tod klingt, Ekstase auch.
[Angela Aux öffnet die Autotür und schmeißt einen Kaffeelöffel raus.]
Der Pressetext schreibt davon, dass „Wrap your Troubles in Dreams“ ein Album sei, das zu den Wurzeln der 70er im Bereich Folk zurückfände. Warum macht man ein historisierendes Album?
Ich hab ganz lange Zeit alle Musikstile miteinander verwurstet und das auch als meine Aufgabe betrachtet. Irgendwann haben dann alle angefangen das zu machen und wenn viele Leute dasselbe tun, kann ich das nicht mehr. Was nicht so sehr gemacht wird im Moment ist, die Pop-Musik unter historischen Gesichtspunkten zu betrachten. Ich habe versucht, eine Sache, die es nicht mehr gibt, nämlich Folk, – Folk war eine Bewegung in den 30er, 40ern, dann in den 60ern, 70ern nochmal von Bob Dylan aufgegriffen – in einem historischen Kontext aufzunehmen und zu sehen. Wir haben mit alten Mics aufgenommen, mit alten Bandmaschinen. Das hat eine gewisse Stimmigkeit. Ich bin ganz froh, dass es jetzt fertig ist und ich eine neue Platte machen kann, die anders wird. In sich ist es aber das Abgeschlossenste, was ich jemals gemacht habe.
Hatte diese Arbeit dann auch wissenschaftliche Aspekte? Oder einen Touch von Historischer Aufführungspraxis?
Mir ging es nicht um Historismus oder Flucht in die Vergangenheit. Ich fand es eher spannend, das als Perspektive zu sehen, als Zugang zur Welt. Ein Deutungszugang, den habe nachgestellt. Ein weiterer Punkt ist der, dass ich fast nur alte Musik höre.
Funktioniert das bei einem heutigen Publikum?
Ja. Denn die großen Philosophen des Pop, die aus dem Folk-Bereich kommen, die gab’s nur in der damaligen Zeit. So Leonard Cohen, Bob Dylan. Aber mich nervt auch die Verklärung von bestimmten Person nach ihrem Tod. Das waren nämlich Leute, die einfach drauf geschissen haben, die ihre Sachen einfach durchgezogen haben.
Eine Frage zu deinen Musikvideos, die eine sehr bestimmte Ästhetik verfolgen. Ich denke jetzt auch an die Videos von Aloa Input. Ihr tretet nicht als Figuren darin auf, sondern es sind animierte Zeichnungen. Das ist der Gipfel von Künstlichkeit, Zeichentrick, nicht vormals „lebende“ Objekte im Video zu animieren. Ich stelle fest, dass es bei einigen jungen Subkulturen die Tendenz zu übersteigerter Künstlichkeit in der Ästhetik gibt. Kannst du dich mit dem Dandyismus identifizieren?
Also ich wirke vielleicht wie ein Dandy, aber für die Lehre, die dahinter steht, habe ich nicht so viel übrig. Ich bin schon ein Träumer, aber setze jeden zweiten Traum um. Dieser Leerlauf gefällt mir nicht. Alle Songs auf der letzten Aloa-Platte sind moderne Fabeln. Eine Kettensäge, die sich wünscht, eine Mikrowelle zu sein, zum Beispiel. Das ist ein Problem, das wir auch haben, aber bei Maschinen ist es halt noch absurder. Manches lässt sich da im Video halt nur über Zeichentrick umsetzen. Das letzte Aloa-Video ist so eine Spitze, es ging um so Sampler-Ästhetik. Wir leben in einem Sample-Zeitalter. Lauter einzelne Bausteine. Im Video sieht man die Bausteine, aber in Musik sind die schwerer zu erkennen. Nein, wahrscheinlich sind wir keine Dandies. Wir sind auch keine Hipster. Ich höre das total oft, aber wir sind keine Hipster.
Zum Abschluss, nach was bist du süchtig?
Ich bin nach dem Gefühl süchtig, das ich habe, wenn ich glaube, was Gutes geschafft zu haben. Zum Beispiel: Ich sitze in meinem Zimmer schreibe einen Satz und finde den richtig gut.
Joa. Aber das ist nicht das einzige, wonach ich süchtig bin. Ohne gutes Essen kann ich auch nicht leben.
Danke für das Gespräch.
Termine:
13. Mai 2016: CD-Release „Wrap your troubles in dreams“
18. Mai 2016: Release-Konzert in den Münchner Kammerspielen